Langes Lektüren: Lesen Sie keine Tageszeitung!

Rolf Dobelli: Die Kunst des digitalen Lebens. Wie Sie auf News verzichten und die Informationsflut meistern. Piper Verlag: München 2019. 256 Seiten. 20 Euro.

Lesen Sie keine Tageszeitung!

 

Von Ansgar Lange

 

Der Schweizer Unternehmer Rolf Dobelli ist ein anregender Autor. In seinem jüngsten Werk „Die Kunst des digitalen Lebens“ plädiert er für einen radikalen Verzicht auf den Konsum von Nachrichten. Der Konsum von News via Fernsehen, Internet oder Tageszeitung sei sinnlos, schädlich und mache unglücklich: „Durch die Digitalisierung haben sich News von einem harmlosen Unterhaltungsmedium in eine Massenvernichtungswaffe gegen den gesunden Menschenverstand verwandelt.“

Dobelli hing einst selbst an der Nadel und konsumierte Kurznachrichten wie im Rausch. Doch haben die immer gleichen Nachrichten, die teilweise marktschreierisch und mit bedeutungsschwerer Stimme verkündet werden, irgendeine Relevanz für unser persönliches Leben? Der Schweizer verneint diese Frage ganz eindeutig. Warum sollte man sich also mehrere Stunden am Tag mit etwas beschäftigen, was für das eigene Leben und das eigene private Glück völlig irrelevant ist?

Vom News-Junkie zum Abstinenzler

Dobelli berichtet, wie er vom News-Junkie zum Abstinenzler wurde. Er will diese Lebensphilosophie seinen Lesern nahebringen. Und er nennt auch gleich das Gegenprogramm zu den Kurznachrichten: Lange Zeitungs- und Zeitschriftenartikel, Essays, Features, Reportagen, Dokumentarsendungen und Bücher.

Anders als Dobelli, der für einen Radikalverzicht eintritt, könnte man sagen: Die Dosis macht das Gift. Doch in einem hat der Autor absolut recht: Das ständige Starren auf unser Smartphone, der hektische Blick auf die neueste Katastrophenmeldung und die Lohnschreiberei mancher Printjournalisten, die keine Zeit mehr haben für Recherche, sondern nur noch abschreiben, lässt unser Hirn verkümmern. Wir verlieren so die Gabe, lange Texte zu lesen.

Daher ist Dobellis Streitschrift auch ein Plädoyer dafür, mehr und bewusster zu lesen. Internet, Fernsehen, Radio, manche Tageszeitungen: das ist allzu oft nur Weißbrot und schädlich für den Organismus. Lange Artikel in Qualitätsmedien und in Fachzeitschriften und „gute“ Bücher sind das Schwarzbrot, das uns gesund erhält, meint Dobelli.

Um es mit dem Schweizer Schriftsteller zu formulieren: „In Bezug auf News sind wir heute an dem Punkt, wo wir in Bezug auf Zucker und Fast Food vor zwanzig Jahren standen, denn: News sind für den Geist, was Zucker für den Körper ist. News sind appetitlich, leicht verdaulich und gleichzeitig höchst schädlich.“

Dobelli ist Stoiker. Wer Wert auf einen gesunden Blutdruck, Seelenfrieden und Gleichmut legt, sollte sich vom hektischen News-Konsum verabschieden.

Hat der Journalismus also überhaupt keine Zukunft? Krawalljournalismus oder auch ein belehrender Haltungs- oder moralischer Journalismus sind das Geld nicht wert, das wir täglich in ihn investieren. Einem investigativen und erklärenden Journalismus, der komplex und teuer ist, gehört laut Dobelli die Zukunft.

Machen Sie doch mal das Experiment und schauen Sie, wie oft Sie bei der Lektüre dieses gut geschriebenen schmalen Buches auf Ihr Smartphone, den PC oder auf den Fernseher schauen.  Wenn Ihnen eine möglichst ablenkungsfreie Lektüre gelingt, dann sind Sie noch nicht news-verseucht. Alle anderen sollten vielleicht ihren Fernseher verkaufen und lieber ein Buch lesen.

Die Überschrift „Lesen Sie keine Tageszeitung!“ ist natürlich provokativ. Nicht jeder muss eine Radikal-Diät wie Dobelli durchziehen. Aber ein bewussterer Umgang mit unseren Medien dürfte niemandem schaden.

 

Rolf Dobelli: Die Kunst des digitalen Lebens. Wie Sie auf News verzichten und die Informationsflut meistern. Piper Verlag: München 2019. 256 Seiten. 20 Euro.

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