Peer Steinbrück liest seinen Genossen die Leviten

Von Ansgar Lange

Peer Steinbrück ist ein kluger und scharfzüngiger Politiker. Sein aktuelles Buch „Das Elend der Sozialdemokratie“ trägt zwar den Untertitel „Anmerkungen eines Genossen“. Aber auch für Christdemokraten stellt das kurzweilig geschriebene Buch eine durchaus lohnende Lektüre dar. Na ja, vielleicht eignet sich das Werk nicht als Geschenk für grüne Politiker. Denn dieser Partei unterstellt der vormalige SPD-Finanzminister und gescheiterte Kanzlerkandidat einen Hang zu moralischer Selbsterhöhung und Volkspädagogik.

Der Autor schreibt, dass sich die SPD umfassend programmatisch, strukturell und organisatorisch erneuern müsse.

1.    Mit Minderheitenthemen gewinnt man keine Wahlen

Der Genosse mit einem Faible für Wein und Zigarillos redet Klartext:

Mit ihrer Fokussierung auf das abstrakte Leitwort „Gerechtigkeit“ habe seine Partei die letzte Bundestagswahl vergeigt. Mit ihrem Eintreten „für die Belange von Minderheiten“ habe sie zum „dritten Mal in Folge die Mehrheitsgesellschaft nicht erreicht“.

Sein Rezept:

Drei Themen nach vorne stellen: Europa, die Machtfrage im globalisierten, „maßgeblich finanziell und digital getriebenen Kapitalismus“, der Zusammenhalt der Gesellschaft. Diese drei Kernbotschaften deklariert Steinbrück in seinem Buch durch und bringt wesentlich mehr Fleisch an den Knochen als weiland Martin Schulz und seine Genossen mit ihrem Hang zu Randthemen und Gerechtigkeits-Gedöns. Steinbrück wörtlich: „Der hohe Stellenwert, den die SPD der Beseitigung von Diskriminierung nach Geschlecht, sexueller Neigung, Herkunft, Hautfarbe, Religion und nicht zuletzt Menschen in einer sozial prekären Lage einräumte, wird von vielen Werktätigen als eine Abwendung von ihren Lebenswirklichkeiten und Existenzfragen verstanden.“ (S. 101)

 

2.    Die SPD hat das falsche Personal

 

Die Mitarbeiter im Berliner Willy-Brandt-Haus werden nicht zu den Fans dieses Buchs gehören. Denn mit ihnen geht Steinbrück äußerst kritisch ins Gericht. Lob erhalten hingegen die Kommunalpolitiker und die Geschäftsführer. Sie seien oft die „besseren politischen Repräsentanten der SPD“ als manche gewählte Vertreter. Es fehlen die großen intellektuellen Taktgeber wie Carlo Schmid, Egon Bahr, Horst Ehmke, Peter Glotz und Erhard Eppler. Und es mangelt nach Ansicht des Autors an einer professionellen Personalentwicklung. Der Partei des öffentlichen Dienstes fehlen die Frauen, die Facharbeiter und die Mittelständler. Diese mangelhafte Personalentwicklung führe dazu, dass die SPD in ihrem Strukturkonservatismus erstarre.

3.    Steinbrück legt den Finger in die Wunden

Wenn sich Jens Spahn zu Recht und Ordnung meldet, gibt es reflexhafte Redaktionen von Medien und Politik. Steinbrück reklamiert für sich selbst, dass er nicht kusche, sondern seinen Überzeugungen treu bleibe. Wieder Klartext, der aus dem Munde von Jens Spahn wahrscheinlich für die eingeübten Rituale der Empörung sorgen würde: „Und meine Überzeugung ist, dass das hohe Gut unseres Asylrechts im Kern nicht etwa durch staatliche Ordnungsmaßnahmen, sondern vielmehr durch einen staatlichen Kontrollverlust gefährdet ist.“ (S. 180) Es gebe nicht wenige gestandene Leiter städtischer Ämter, die in vertraulichen Gesprächen „über rechtsfreie Räume“ klagten.

Ob den Sozialdemokraten Steinbrücks Rezept für eine Revitalisierung seiner Partei mundet? Zweifel sind angebracht.

Peer Steinbrück: Das Elend der Sozialdemokratie. Anmerkungen eines Genossen. C. H. Beck Verlag: München 2018. 192 Seiten. 14,95 Euro.

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